Als die SAD im Februar 2003 die erste internationale Konferenz für Sport und Entwicklung in Magglingen koordiniert, legt sie den Grundstein für ihr heutiges Engagement im Bereich Sport und Spiel.

Rolf Schwery leitete die SAD in diesem turbulenten Abschnitt ihrer Geschichte. Im Interview erzählt er, wie die SAD zu Sport und Spiel kam – und wie der ehemalige DEZA-Direktor Walter Fust Angelina Jolie zur Magglinger Konferenz einladen wollte.

Wenn du dich an deinen ersten Arbeitstag in Biel erinnerst: War dir der Begriff «Sport und Entwicklung» damals geläufig?

Überhaupt nicht. Sport war schon immer mein Hobby, aber als ich bei der SAD einstieg, hätte ich nicht im Traum gedacht, dass ich diese Leidenschaft mal mit der Arbeit verbinden könnte. Sport und Entwicklung wurde für uns erst entscheidend, als wir merkten, dass die Finanzierung bestehender Projekte in Gefahr war. Wir mussten uns in einem anderen Bereich entwickeln.

Der Entscheid, sich im Bereich Sport und Entwicklung zu engagieren, war also ein strategischer?

Die SAD befand sich damals in einem Umbruch. Wir wussten, dass wir eine Dienstleistung anbieten mussten, die im Interesse der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) lag. In der Diskussion mit Walter Fust, dem damaligen Direktor des DEZA, entpuppte sich der Sport als vielversprechender Bereich. So entschieden wir, ein Forum für Sport und Entwicklung zu organisieren. Daraus entstand die Erste Magglinger Konferenz.

…die mehr Spitzentreffen als Diskussionsforum war.

Das ist richtig. Wir hatten ambitiöse Ziele für die Konferenz, aber dass es eine so grosse Kiste würde, hätten wir nicht gedacht. Walter Fust von der DEZA wollte sogar Angelina Jolie einladen! Das hätte mir auch gefallen, aber die kam dann nicht. Dafür waren zehn Sportminister anwesend. Auch der damalige Flüchtlingshochkommissar Ruud Lubbers nahm teil. Als sogar der polnische Präsident anrief und sagte, er wolle kommen, trat der Stiftungsrat auf die Bremse. Er fürchtete, die SAD könne der Delegation nicht mal alle Wodkas bezahlen…

Gekommen ist Präsident Kwaśniewsk dann trotzdem. Er buchte im Hotel Elite gleich den ganzen oberen Stock. Bescheidener war die damalige Generaldirektorin des UNICEF, Carol Bellamy unterwegs: Die reiste im Zug an. Und ich holte sie dann mit meiner «Büchse» vom Bahnhof ab.

Was hat die SAD mit der Magglinger Konferenz erreicht?

Nach Magglingen I war klar, wo das Kompetenzzentrum für Sport und Entwicklung lag. Schon in der Vorbereitung produzierten wir bei der SAD sehr viel Wissen. Die Diskussionen begannen bei der Bezeichnung: Wir fragten uns, ob das Feld Sport für Entwicklung oder Sport und Entwicklung heissen sollte. Später nahmen wir uns dem Sport in einzelnen Feldern wie Friedensförderung, Gender oder Gesundheit an.

2003 zerstörte ein Erdbeben die Stadt Bam im Iran. Mit Sport und Spiel half die SAD überlebenden Kindern und Jugendlichen, ihr Trauma zu bewältigen. War das die erste Anwendung des Ansatzes vor Ort?

Tatsächlich war Bam unser erstes Sport- und Spielprojekt. Gleichzeitig war es unser Paradeprojekt. Ich erinnere mich gut an eine von der UNICEF organisierte Konferenz in New York, an der ich das Projekt vorstellte: Die Vertreterin von Nike hatte nach der Präsentation Tränen in den Augen, die hat es so gepackt… Bam war ein sehr emotionales Projekt. Wir erkannten: Mit dem Sport können wir alle abholen.

Wenn ich heute von einem Erdbeben höre, habe ich immer noch das Gefühl, ich müsse sofort die Koffer packen, weil ich mir denke: Ich weiss, was diese Leute jetzt brauchen. Natürlich ist die Nothilfe wichtig, natürlich musst du versuchen, Leute zu retten. Aber irgendwann musst du beginnen, dich um die Überlebenden zu kümmern.

Trotzdem hat der Sport in der Entwicklungszusammenarbeit in den Augen vieler nicht denselben Status wie beispielsweise Infrastrukturprogramme. Woran liegt das?

Ich glaube, das hat auch etwas mit Religion zu tun. Besonders in der christlichen Religion hat man oft das Gefühl, dass alles, was Spass macht, unchristlich ist, dass es nach einem Erdbeben eine Zeit gibt, in der man nicht lachen darf.

Der Humor fehlt fast ganz in der christlichen Religion. Und im Islam verhält es sich wohl ähnlich. Deshalb werden Spass, Spiel und Sport in der Entwicklungsarbeit als Luxus angesehen: Was Spass macht, hat keine Wirkung. Das glauben, so glaube ich, heute noch viele Leute. Ich finde das naiv. Ich glaube, der liebe Gott hatte mehr Humor, als die Menschen, die ihn interpretieren. Vielleicht hat Jesus zu wenig Witze erzählt. Oder keiner war so gut, dass er es in die Bibel geschafft hätte.

Vor zehn Jahren hast du die Geschäftsleitung der SAD abgegeben, du bist aber heute als Berater im Bereich Sport und Entwicklung tätig. Wie hat sich der Sektor in den vergangenen zehn Jahren verändert?

Die Schweiz hat die Führung abgegeben. Ich bin enttäuscht, dass staatliche Organisationen wie die DEZA, aber auch das BASPO oder Swissolympic es verpasst haben, zusammen mit den Sportverbänden, die in der Schweiz ansässig sind, Mittel zu investieren. Im Vergleich zu den staatlichen Organen haben Sportorganisationen wie UK Sport, die FIFA, die UEFA, vielleicht auch das IOC in den vergangenen Jahren einen viel grösseren Beitrag zu Sport und Entwicklung geleistet.

Wo siehst du den Bereich Sport und Entwicklung in 10 Jahren?

Ich glaube, dass die Sportorganisationen in Zukunft eine noch grössere Rolle spielen werden. Gerade in der Ausbildung von Sportfachleuten sind sie wichtig. Der Trend geht dahin, dass man Kompetenzen in Bereichen wie Integration, Traumabewältigung oder Gender-Empowerment in reguläre Sportprogramme integriert. Ich glaube, dass der Fussballcoach in 10 Jahren viel mehr über Integration weiss, als dies heute der Fall ist.