Im Juni 2020 startete das Projekt «Girls Ahead!». Mit diesem Projekt setzt sich die Swiss Academy for Development (SA4D) zusammen mit der Waruka Trust Academy (WTA) für eine nachhaltige und selbstbestimmte Zukunft junger Frauen und deren Familien im Distrikt Murehwa im Nordosten Simbabwes ein. Wie in all unseren Projekten, spielen dabei Sport- und Spielaktivitäten eine zentrale Rolle.

Simbabwe – einst bekannt als Kornkammer Afrika’s – gehört heute zu den ärmsten Ländern der Welt. Wiederholte Dürreperioden und die Zuspitzung der wirtschaftspolitischen Krise haben im Land zu akuter Ernährungsunsicherheit geführt. Die Mehrheit der Kinder und Jugendlichen finden sich in einer Situation von Armut und Perspektivlosigkeit wieder, geprägt von einer hohen Arbeitslosigkeit, zunehmend mangelhafter und unterfinanzierter Bildung und einem geschwächten (land-)wirtschaftlichen Sektor. Auf dem Lande und für Mädchen ist die Situation aufgrund von soziokulturellen Faktoren und Traditionen besonders gravierend. Sie sind einem besonderen Risiko ausgesetzt, ihre Aussicht auf ein selbstbestimmtes Leben zu verlieren. Jedes dritte Mädchen erlebt noch heute eine Kinderheirat mit oft schwerwiegenden physischen und psychischen Folgen; auch die weltweit fünfthöchste HIV-Prävalenz des Landes bildet eine reelle Gefahr. Der Projekt-Distrikt Murehwa im Osten von Simbabwe’s Hauptstadt Harare weist eine der höchsten HIV-Übertragungsraten im Land auf. Die Regionen um Harare haben zudem das jüngste durchschnittliche Heiratsalter. Zu den Hauptursachen für das frühe Verheiraten von Mädchen gehören Armut und mangelhafte Bildung.

Mit der Covid-19-Pandemie und deren Folgen wurden die Mädchen noch verletzlicher und damit das Projekt noch relevanter.

Ein ganzheitlicher Ansatz: Gesundheit, Bildung und ein eigenes Einkommen

Da Kinderheirat, Bildung und Armut in starker Abhängigkeit zueinander stehen, verfolgt dieses Projekt einen möglichst ganzheitlichen Ansatz unter Einbezug verschiedenster Akteure. Auf der einen Seite werden mindestens 600 benachteiligte Mädchen über regelmässige sport- und spielbasierte Aktivitäten in ihrem psychosozialen Wohlbefinden, ihren Lebenskompetenzen und zur Durchsetzung ihrer Rechte gestärkt. Lehrfortbildungen und Sensibilisierungs­massnahmen zu Sexueller und Reproduktiver Gesundheit und Rechten (SRGR) fördern ihre Inklusion in Schule und Gesellschaft. Andererseits tragen Ausbildung zu ökologischer Agroforst-Landwirtschaft und Aufbau einer landwirtschaftlichen Pilotfläche – in enger Zusammenarbeit mit einem erfahrenen Praktiker – zur Ernährungs­sicherheit und einem nachhaltigen Einkommen der Mädchen und ihrer Familien bei. So werden die zu Grunde liegenden Hauptursachen und «Treiber» bekämpft; es wird eine konkrete Alternative zu ökono­misch erzwungener Kinderheirat geboten.

Besuch des Projekts im Frühjahr 2022

Die Projektleiterin besuchte das Projekt im Mai 2022. Vor Ort wurde sie von einem motivierten Team in Empfang genommen, besichtigte die umliegenden Partnerschulen, sprach mit Mädchen, Lehrpersonen und Dorfverantwortlichen; und sah erstmals «live», dass aus einer Brache eine ökologisch bewirtschaftete Landwirtschaftsfläche wurde. Schliesslich nahm sie an verschiedenen durch die Waruka Trust Academy organisierten Aktivitäten teil, wie beispielsweise am «African Day», an welchem sich über 100 Mädchen des Waruka-Netzwerkes in einem Projektdorf zu Sport & Spiel trafen. Nebst Monitoring der Projektfortschritte sind Schulungen im Bereich Sport & Spiel ein zentraler Teil fast jeder SA4D-Projektreise. Diese Reise beinhaltete insbesondere theoretische Grundlagen und praktische Beispiel-Sessionen zur Förderung von Lebenskompetenzen im Bereich SRGR, psychosozialer Gesundheit und unternehmerischen Basiskompetenzen.

Wie genau werden Sport & Spiel im Projekt «Girls Ahead!» eingesetzt?

Ein konkretes Beispiel dafür, wie Sport & Spiel im Projekt «Girls Ahead!» eingesetzt werden, zeigen wir anhand des im Rahmen der diesjährigen SRGR-Schulung eingeführten Spieles «Knowing my Rights» auf. Das Ziel dieses einfachen Spiels ist es, dass die Mädchen ihre Rechte kennen und sich der Mittel und Strategien bewusst sind, wie diese Rechte in der Praxis wirksam durchgesetzt werden können.

Angeleitet wird das Spiel von lokalen Trainer:Innen, welche vorgängig von der SA4D geschult wurden. Für die Durchführung des Spiels werden mehrere Mädchen ausgewählt, welche die Rolle der Diskriminierenden und Rechteverwehrenden einnehmen, sie positionieren sich auf der einen Seite des Spielfeldes. Die übrigen Mädchen auf der entgegengesetzten Seite spielen sich selbst, d.h. Mädchen, welche bestimmte Rechte besitzen. Letztere halten, symbolisiert durch ineinander gefaltete Hände, ihre Rechte fest. Das Ziel dieser Mädchen ist es, so von einer Seite des Spielfelds auf die andere zu gelangen. Das Ziel der diskriminierenden Gruppe ist es hingegen, dies zu verhindern und die verschlossenen Hände der Mädchen mit ihren eigenen Händen «einzufangen», das heisst ihre eigenen Hände um die ineinander gefalteten Hände der rennenden Mädchen zu «klatschen», und ihnen so symbolisch ihre Rechte wegzunehmen. Nach jedem Durchgang werden die Rollen getauscht.


Im Spiel „Knowing my Rights“ halten die Mädchen ihre Rechte in ihren gefalteten Händen. Andere versuchen, sie ihnen wegzunehmen.

Das Spiel wurde ursprünglich so konzipiert, dass die Rechte durch Bälle symbolisiert werden, welche prellend von einer Seite auf die andere transportiert werden. Bei der Durchführung im Rahmen einer Gemeindesensibilisierungsaktivität im Projekt «Girls Ahead!» standen nicht genügend Bälle für die grosse Anzahl an Teilnehmerinnen zur Verfügung, auch liess der sandige Boden kein Prellen zu, weshalb das Spiel angepasst wurde. Dieses Beispiel zeigt gut auf, dass die Spiele von der SA4D so kreiert werden, dass sie flexibel und an die unterschiedlichen Gegebenheiten vor Ort angepasst, anwendbar sind.

Basierend auf den Erlebnissen und Emotionen der sportlichen und spielerischen Aktivität wird mit den Mädchen im Anschluss eine Diskussion durchgeführt, ebenfalls geleitet durch lokale Trainer:innen. Die Diskussion folgt dem sogenannten «Interactive Learning Cycle» und besteht aus drei Teilen: Reflektieren, verknüpfen und anwenden.

Im ersten Teil, der Reflexion, liegt der Fokus auf dem Spiel selbst. Hat das Spiel den Mädchen gefallen und weshalb (nicht)? Haben sie etwas gelernt? Wie hat es sich angefühlt, als ihnen die «Rechte» weggenommen wurde?

Bei der anschliessenden «Verknüpfung» wird über die Rechte der Mädchen diskutiert. Welche Rechte besitzen sie? Besitzt jeder Mensch Rechte? Was könnte das Spielfeld symbolisieren; vielleicht das Leben, in welchem wir immer mal wieder auf Rechtsverweigerung treffen? Was bedeutet es, wenn mir ein Recht genommen wird? Wurde jemandem bereits ein Recht genommen? Was sind die Gründe, warum wir manchmal nicht in der Lage sind, unsere Rechte durchzusetzen?

Im letzten Teil wenden die Mädchen Gelerntes auf ihren Lebenskontext an. Dabei werden Fragen diskutiert, wie beispielsweise, was sie tun können, wenn ihnen jemand ihre Rechte verweigert und welche Unterstützungssysteme vorhanden sind. Zudem:  Wie können sie sich gegenseitig unterstützen, wenn jemandem ein Recht verweigert wird? Und ganz allgemein, gibt es überhaupt Personen in ihrem nahen Umfeld, welche ihnen ihre Rechte verweigern können?

Wie eine solche Diskussion in der Praxis stattfindet, zeigt folgendes Video kurz aber sehr gut auf. Es ist zu sehen, wie in diesem Falle der Projektverantwortliche mit den Mädchen nach dem Spiel diskutiert, welche Rechte sie besitzen.

Das Spiel «Knowing my rights» und die anschliessende Diskussion zielen letztendlich darauf ab, einen Lernzuwachs und eine Verhaltensänderung bei den Mädchen herbeizuführen. Sie werden in ihren Lebenskompetenzen gestärkt und lernen, dass ihnen niemand ihre Rechte verweigern darf, wie sie sich in einem solchen Fall verhalten sollen und dass es Unterstützungsmöglichkeiten gibt. Ihnen wird auf spielerische und kindgerechte Weise bewusst, dass jeder Mensch das Recht hat, in einem Umfeld zu leben, das frei von Gewalt und schädlichen Praktiken ist, das seine Grundbedürfnisse (wie Gesundheit und Ernährung) befriedigt und in dem er sein Potenzial voll entfalten kann.

Kontinuierliches Monitoring und systematische Evaluation

Um diesen Prozess zu überwachen und steuern sind kontinuierliches Monitoring und eine systematische Evaluation zur Wirkungsmessung notwendig. Die SA4D verfügt über breit validierte «Monitoring, Evaluation and Learning» (MEL)-Systeme und -Instrumente, welche kontextspezifisch angepasst und in Zusammenarbeit mit dem lokalen Partner weiterentwickelt werden. Dabei werden immer auch relevante Kapazitäten beim Projektpartner aufgebaut und die Organisation (und Begünstigte) somit zusätzlich befähigt, die Wirkungen des eigenen Tuns auch langfristig selbständig messen zu können.

Nachhaltige Wirkung des Projekts

Die SA4D arbeitet im Projekt eng mit der lokalen Nichtregierungsorganisation Waruka Trust Academy (WTA) zusammen. Die Zusammenarbeit mit lokalen Partnern ist einer der Pfeiler der Arbeit der SA4D; so wird die Projektnachhaltigkeit gefördert. Über einen «Training of Trainers»-Ansatz werden innerhalb der Partnerorganisation «Trainer:innen» ausgebildet, die als lokale Multiplikator:innen agieren und auch nach Ende der Projektdauer die Aktivitäten langfristig weiterführen. Das stärkt unsere Partnerorganisation vor Ort und damit auch viele weitere junge Frauen. Die Vermarktung landwirtschaftlicher Produkte und die integrierte Produktion von organischem Saatgut soll schliesslich zur finanziellen Projektnachhaltigkeit beitragen.

Zudem tragen die geplanten Aktivitäten zu verschiedenen bis 2030 zu erreichenden Nachhaltigkeitszielen (Sustainable Development Goals SDGs) der Vereinten Nationen bei, insbesondere den Zielen 1-5, 12 und 13.

Ausblick

Die Projektreise im Frühjahr hat uns die vielen Fortschritte aufgezeigt, welche in diesem Projekt trotz oder gerade als Antwort auf die Corona-Pandemie erreicht werden konnten. Sie hat aber auch verdeutlicht, wie sich die allgemeine sozioökonomische Situation in Simbabwe zusätzlich erschwert hat, und was im letzten Projektjahr noch zu tun ist, damit junge Frauen und deren Gemeinden nachhaltig gestärkt werden.

SA4D, 29.9.2022